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Literature: Der Sandmann.

  Seite 23: Der Sandmann.



deutscher Text English text
 

Nathanael an Lothar
Sehr unlieb ist es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief geschrieben, worin sie ausführlich beweiset, daß Coppelius und Coppola nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die augenblicklich zerstäuben, wenn ich sie als solche erkenne. In der Tat, man sollte gar nicht glauben, daß der Geist, der aus solch hellen holdlächelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher süßer Traum, hervorleuchtet, so gar verständig, so magistermäßig distinguieren könne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt über mich gesprochen. Du liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles fein sichten und sondern lerne. - Laß das bleiben! - Übrigens ist es wohl gewiß, daß der Wetterglashändler Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat Coppelius ist. Ich höre bei dem erst neuerdings angekommenen Professor der Physik, der, wie jener berühmte Naturforscher, Spalanzani heißt und italienischer Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren und überdem hört man es auch seiner Aussprache an, daß er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich dünkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich immerhin für einen düstern Träumer, aber nicht los kann ich den Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht. Ich bin froh, daß er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt. Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht, anschauest. - So sieht Spalanzani aus. -

 

Nathanael to Lothaire
I am very sorry that in consequence of the error occasioned by my distracted state of mind, Clara broke open the letter intended for you, and read it. She has written me a very profound philosophical epistle, in which she proves, at great length, that Coppelius and Coppola only exist in my own mind, and are phantoms of myself, which will be dissipated directly I recognize them as such. Indeed, it is quite incredible that the mind which so often peers out of those bright, smiling, childish eyes with all the charm of a dream, could make such intelligent professorial definitions. She cites you - you, it seems have been talking about me. I suppose you read her logical lectures, so that she may learn to separate and sift all matters acutely. No more of that, please. Besides, it is quite certain that the barometer-dealer, Giuseppe Coppola, is not the advocate Coppelius. I attend the lectures of the professor of physics, who has lately arrived. His name is the same as that of the famous natural philosopher Spalanzani, and he is of Italian origin. He has known Coppola for years and, moreover, it is clear from his accent that he is really a Piedmontese. Coppelius was a German, but I think no honest one. Calmed I am not, and though you and Clara may consider me a gloomy visionary, I cannot get rid of the impression which the accursed face of Coppelius makes upon me. I am glad that Coppola has left the town - so Spalanzani says. This professor is a strange fellow - a little round man with high cheek-bones, a sharp nose, pouting lips and little, piercing eyes. Yet you will get a better notion of him than from this description, if you look at the portrait of Cagliostro, drawn by Chodowiecki in one of the Berlin annuals; Spalanzani looks like that exactly.


Vokabular  
 

sehr unlieb ist es mir (poetic construction) es gefällt mir gar nicht
= to be sorry

 

die Zerstreutheit = distracted mind

 

Brief erbrechen = Brief öffnen = to open a lettre

 

beweiset (forma antigua) beweist = to show, to prove

 

zerstäuben, verschwinden = to turn to dust, to leave

  aber nicht los kann ich den Eindruck werden (poetic form);
= aber ich kann den Eindruck nicht loswerden
= to cannot get rid of the impression
 

ein wunderlicher Kauz = strange fellow

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